Fragen und Antworten

Was ist mit „Kinderverschickung“ gemeint? 

Beginnend in den Nachkriegsjahren wurden bis zum Ende der Achtzigerjahre Kinder zu Erholungszwecken in Heime in der ganzen Bundesrepublik für meistens 3 bis 6 Wochen verschickt (wenige waren auch einige Monate von zu Hause weg). Die Kinder waren in der Regel zwischen 3 und 14 Jahre alt. Was von den meisten Eltern als Erholung gedacht war, entwickelte sich für nicht wenige Kinder zu einem Albtraum, über den die meisten Betroffenen oft jahrzehntelang schwiegen. 

Wie viele Kinder wurden verschickt?

Die angegebenen Zahlen variieren zwischen 2 und 10 Millionen Kindern, die von 1945 bis Ende der 80er Jahre verschickt wurden. Schätzungen zufolge soll es allein in Westdeutschland in etwa 1000 Heime gegeben haben; ca. 44 von ihnen waren in der kleinen Gemeinde St. Peter-Ording. 

Wie kam es überhaupt zu Kinderverschickungen? 

Viele der Kuren wurden durch die Hausärzte veranlasst (und daher auch von den Kassen oder anderen Kostenträgern bezahlt) und die Eltern handelten daher im guten Glauben. Ärztliche Indikationen waren häufig (vor allem bei Verschickungen an die Nord-oder Ostsee) Atemwegsprobleme, Asthma, Bronchitis. Bei vielen Kindern ging es aber auch um eine Gewichtszunahme oder Gewichtsreduktion oder um dermatologische Probleme. Betreiber viele Heime waren zum Beispiel die AWO, die Caritas, die Diakonie, also die großen Wohlfahrtsverbände. Es gab aber gerade auch in St. Peter Ording nicht wenige kleinere Heime, die privat betrieben wurden. 

Welche schlimmen Erlebnisse in den Heimen werden besonders häufig genannt? 

In Bezug auf die negativen Erfahrungen in den Heimen in St. Peter-Ording werden von Betroffenen mit der größten Häufigkeit angegeben: Heimweh und Essenszwang (auch der Zwang, eigenes Erbrochenes wieder essen zu müssen). Oft genannt werden auch Beschimpfungen/Herabsetzungen, Verbote, Postzensur, Kontaktverbot zur Familie, lange Zwangsmittagspause, Einsperren, in-der-Ecke-stehen-müssen. Auch von sexueller Gewalt wurde vereinzelt berichtet. 

Was hat die öffentliche Berichterstattung bisher verändert? 

Sehr viel. Rein auf St. Peter-Ording bezogen wurde vieles erreicht, das es ohne unseren Einsatz als Betroffene nicht gegeben hätte und nicht gäbe, siehe auch hier unter: Was bisher erreicht wurde. Mindestens ebenso wichtig wie die dort genannten Ergebnisse sind aber die vielen, vielen persönlichen Schilderungen Betroffener, die sich im Laufe der Zeit bei uns gemeldet haben. Immer wieder war zu hören oder zu lesen: ich habe darüber vorher noch nie mit einem Menschen gesprochen. Es eröffnete sich bei einigen die Möglichkeit, manches aus ihren Biografien das erste Mal zu verstehen und besser einordnen zu können. Nicht wenige wollten/wollen sich auf die Suche nach psychotherapeutischer Unterstützung machen. 

Die Universität Kiel bietet seit einigen Semestern fächerübergreifend (historisches Seminar und Institut für Sozialwissenschaften) für ihre Studentinnen und Studenten Seminare mit dem Thema „Kinderverschickungen nach St. Peter-Ording“ an. Es freut uns sehr, dass sich auch junge Menschen nachfolgender Generationen mit diesem Thema auseinandersetzen. 

Es bleibt noch einiges zu tun, aber der Weg bis hierhin hat sich gelohnt und der bevorstehende Runde Tisch wird hoffentlich auch noch einiges bewirken können. 

Danke an all diejenigen, die den Mut hatten, sich zu melden und über ihre so lange totgeschwiegenen Erlebnisse zu berichten. Trauen Sie sich weiter, das Schweigen zu brechen!

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